Heute
wird’s spektakulär. Jedenfalls wenn ich dreißig Jahre zurück denke. Da haben
wir nämlich auf Skiern das gemacht, was wir heute planen, wir haben den
Langkofel umrundet. Nun wollen wir ihn umwandern. Einerseits bin ich sehr
gespannt auf die Tour, andererseits doch ziemlich aufgeregt, denn das
Skiabenteuer war schon sehr besonders, besonders spektakulär, wenngleich alles
gut gegangen ist. Der obere Teil war der pure Horror und auf den bin ich am
meisten gespannt.
Wir
fahren mit dem Auto los über das Grödner- zum Sellajoch und parken
(kostenpflichtig) auf der Passhöhe. Dann beginnt schon die erste Aufregung. Wir
wollen die weißen Zweiergondeln nehmen, die uns die Scharte hinauf bringen. Das
ist noch genauso wie vor dreißig Jahren. Das Teil hält nicht an. Das heißt, man
muss sich an einen vom Liftmenschen angewiesenen Platz stellen, genau
aufpassen, wenn der Käfig kommt, hoffen, dass der Liftmensch die Tür öffnet,
ein Stück mitlaufen und reinspringen. Ich schaffe das nur, weil mich jemand am
Arm packt und halb hineinhebt und halb hineinschubst. Jedenfalls weiß ich nicht
genau, wie ich hereingekommen bin. Plötzlich stehe ich neben Walter, der es wie
durch ein Wunder auch geschafft hat. So eng eingezwängt werden wir hinaufgebracht,
eigentlich doch ganz bequem, wenn ich sehe, wie einige Unverdrossene unten in
der Scharte zwischen Felsbrocken und Geröll hinaufkraxeln. Das hat nämlich
schon was von Mittagstal. Wenn ich hinauf- und hinunterschaue, sieht es
wirklich spektakulär aus, die berüchtigte Scharte und die steinerne Stadt, die
wir in unzähligen Sellarunden passiert haben und die Passhöhe, inzwischen ganz
klein geworden.
Der
Ausstieg aus dem seltsamen Gefährt ist für mich genauso aufregend wie der
Einstieg und ich bin froh, als ich wieder Boden unter meinen neuen
Wanderschuhen fühle. Sofort strebe ich zum Ausblick in die andere Richtung der
Scharte, die ich als Abgrund in Erinnerung habe. Und was ich da sehe, lässt mir
sogar noch im Nachhinein meinen Atem stocken. Wie sind wir vor drei Jahrzehnten
nur mit Skiern diese enge steinige steile Scharte hinunter gekommen? Wanderer
jedenfalls sind heute in großer Zahl auf der Route unterwegs, das heißt, wir
müssen den Weg gar nicht suchen.
Nach
einigen Höhenmetern Abstieg ist es nicht mehr ganz so steil und der Blick
zurück zeigt die Demetzhütte neben der Gondelankunft schon in einiger
Entfernung. Wir sind auf jeden Fall viel sicherer unterwegs als noch vor zwei
Tagen und freuen uns mit jedem Schritt nicht nur über meine neuen Schuhe,
sondern auch über unsere Trekkingstöcke, die sich als prima Hilfe erweisen.
Nach
einer Weile erreichen wir am Fuße eines schroffen Felsriesen des Plattkofel
eine Hütte. Die muss es vor drei Jahrzehnten schon gegeben haben. Nur lag sie
an jenem Januartage tief verschneit und war natürlich nicht bewirtschaftet,
denn wer war schon so verrückt, auf Skiern hierher zu fahren? Seinerzeit
jedenfalls war sie ein guter Orientierungspunkt, um im unberührten Gelände zu
sagen: Wir fahren jetzt auf die Hütte zu. Und da hatten wir es noch lange nicht
geschafft, sondern kämpften uns weiter bis hinunter zu einer Ebene mit einen
Pfad durch eine Anpflanzung von Bäumen, wo wir uns erst einmal der Länge nach
in den Schnee fallen ließen und uns freuten, dass wir diesen Berg hinter uns
gelassen hatten, bevor wir uns aufrappelten, bis zu einer Straße wanderten und
dieser folgten, bis wir endlich einen Lift erreichten, von dem aus wir auf
Skipisten unserer Langkofelrunde folgen konnten. Mittlerweile wissen wir, dass
das die Bergstation des Monte Pana gewesen sein musste und dass wir uns mit
diesem Abenteuer komplett übernommen hatten, doch das verblasst in der
Erinnerung, denn die Faszination der winterlichen Landschaft ist nach wie vor
lebendig.
Wir
haben also die Langkofelhütte erreicht, heute belagert von Bergwanderern, die
sich in der Mittagssonne auf Terrasse und den umgebenden Felsen zum Picknick
niedergelassen haben. Nun müssen wir den Plattkofel mit Hütte links liegen
lassen und uns nach rechts orientieren und einen Weg um unseren Langen herum
finden.
Etliche
Höhenmeter oberhalb des Bogens, mit dem wir auf Skiern den Langkofel umrundet
haben, gehen wir jetzt weiter auf dem Wanderweg Nr. 626 bis zu einem
Aussichtsplatz mit Bänken, ideal für ein Picknick einschließlich Panoramablick
auf Schlern, Vajolet und irgendwo ganz rechts muss der Monte Pana sein. Auf
einem Schild lesen wir, dass ein Wanderweg von dort hier hinauf und zur
Langkofelumrundung in beiden Richtungen führt.
Steinig
und geröllig geht’s weiter auf schmalen Pfaden. Im Schatten des Langen
überqueren wir ein Schneefeld und eine Rinne. Irgendwann lugt das Sellamassiv über
eine Kuppe, lässt grüßen und sagen, wir haben den größten Teil geschafft. Dicke
Felsbrocken geben einen Vorgeschmack auf die steinerne Stadt, die wir dann auf
der Skitrasse durchqueren werden und blaue Fahnen weisen hin auf die
Comicihütte. Nach der Cappuccinopause ist es nur noch ein Spaziergang mit
wunderbaren Ausblicken auf Sella und Marmolada. Von rechts oben blickt der
mächtige Berg zufrieden auf uns herab. Ja, Langer, wir haben dich nun zum
zweiten Mal umrundet.
Leseprobe und Fotos aus:
Sechs Wanderungen in den Dolomiten (Kindle)
Fotos: Renate Hupfeld im Juli 2013
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen